Interview mit Pater Gabriele Amorth

 


 

Von Walter De Gregorio

Via Alessandro Severo, eine Strasse im Südosten Roms, dort, wo der Glanz des Petersdoms nicht mehr hinstrahlt. Wohnblocks aus den sechziger Jahren, Kleiderläden mit Vorjahresware, Bars mit bleichen Fußballpostern. Nichts deutet darauf hin, dass es ausgerechnet hier dem Teufel an den Kragen geht. «Sie haben Glück, dass Don Gabriele Sie empfängt», sagt der Portier der Glaubenskongregation Società San Paolo, dem Hauptquartier von Italiens populärstem Exorzisten. Der Pater habe viel zu tun. «Er hat kaum Zeit, alle Nachrichten auf dem Telefonbeantworter abzuhören.»

Seit Tagen hatte ich versucht, mit Gabriele Amorth zu sprechen. Auf seiner Nummer schaltet sich das automatische Band ein: «Hier spricht Don Amorth. Wer mich nicht erreicht, möge Verständnis haben und sich an das zuständige Vikariat wenden, um andere Exorzisten zu kontaktieren.» Ich hatte Don Amorth letztmals im vergangenen Oktober getroffen, in Zusammenhang mit dem 25-Jahr-Amtsjubiläum von Papst Johannes Paul II., der während seines Pontifikats in mindestens drei Fällen als Exorzist Hand angelegt hat, zuletzt während einer Generalaudienz am 6. September 2000. Das Mädchen, das der Papst geheilt hatte, wurde «von Dämonen zurückerobert» und ist seither bei Don Amorth in Behandlung. So hartnäckig kann der Teufel sein. Schon damals waren mir als Ungläubigem Amorths Ausführungen unzugänglich. Und doch wirkt er im Gespräch unaufgeregt, sachlich und folgerichtig in der Logik eines geschlossenen Glaubenssystems.

Ich sprach Don Amorth nach der Abendmesse an. «Padre, Sie behaupteten unlängst, die Schweiz, wo der Heilige Vater in Bälde erwartet wird, sei dem Wirken Satans mehr ausgesetzt als andere Länder. Wieso?» Freundlich, aber bestimmt bat mich der Mann, der nach eigenen Angaben schon über 30 000 Exorzismen durchgeführt hat und als oberste Autorität auf dem Gebiet der Satansbekämpfung gilt, am nächsten Morgen vorbeizukommen. «Ich habe heute Abend noch zwei Teufelsaustreibungen vor mir, wobei eine ganz schwierig ist. Die betreffende Frau behandle ich seit Jahren, sie wird von mehreren Dämonen gleichzeitig beherrscht, die nicht locker lassen. Geht es Ihnen morgen um halb neun?»

«Don Amorth kommt gleich», sagt der Portier und bittet mich in ein Zimmer am Ende des Flurs. «Schließen» steht an der Tür von Amorths Behandlungszimmer, das nicht größer ist als eine Gefängniszelle. An der kahlen Wand eine grüne Pritsche, daneben ein Korb mit schmutzigen und ausgeleierten Leinenbandagen. «Zum Fixieren der Besessenen», sagt der Pater, der sich auf ein schwarzes Ledersofa setzt. Manchmal ruft er, klein von Gestalt, vier Männer zu sich. Er erzählt, wie ein 11-jähriger Knabe einen schweren Eichentisch durch ein Zimmer geschleudert habe, «die Kraft Satans». Ein andermal habe ein zierliches Mädchen selbst von stämmigen Männern kaum gebändigt werden können und «Nägel gespuckt», als er sie segnen wollte.

1925 im norditalienischen Modena geboren, hatte Gabriele Amorth die Fratze des Teufels erstmals in den Gesichtern Mussolinis und Hitlers erkannt, ohne dass er sich dessen bewusst war. «Ich erkannte bloß, dass beide für das Böse standen und bekämpft werden mussten.» Nicht mit Weihwasser und Kruzifixen, sondern mit Gewehr und Granaten machte sich der junge Amorth auf, das Böse zu besiegen. Er schloss sich den Partisanen an und wurde wegen seines Mutes mit dem italienischen Verdienstkreuz ausgezeichnet.

Maria ist auf seiner Seite

Nach dem Krieg studierte er die Rechte, so wie es sein Vater und sein Großvater getan hatten, der eine war ein bekannter Anwalt geworden, der andere ein ebenso bekannter Richter. Nach seiner Dissertation trat Jurist Amorth der Democrazia Cristiana (DC) bei und lernte den späteren Ministerpräsidenten Giulio Andreotti kennen. Der Erzkatholik Andreotti war in jener Zeit Präsident der nationalen DC-Jugend, Amorth wurde sein Stellvertreter. «Bis heute pflegen wir einen engen Kontakt», sagt der Pater über seinen Freund und ehemaligen Parteikollegen Andreotti, der auf Anfrage weder bestätigen noch dementieren will. Er lässt ausrichten, er sei zu beschäftigt.

Mit 29 Jahren empfing Amorth die niederen Weihen. Er wurde Pfarrer und Herausgeber der Monatszeitschrift Madre di Dio. Wie Johannes Paul II. ist er ein glühender Verfechter des Marienkultes, für beide stellt die Muttergottes das entscheidende Bindeglied dar zwischen Himmel und Erde, zwischen Mensch und Gott. Neben seinem Vollzeitjob als Exorzist und «Verbandspräsident» der rund 300 italienischen Teufelsaustreiber ist Pater Amorth Mitglied verschiedener katholischer Akademien im In- und Ausland, die sich mit dem Mysterium der heiligen Muttergottes befassen. Seine Bücher sind Standardwerke.

Teufelsaustreiber wurde Amorth aus Zufall. Während eines Besuchs im Vatikan beauftragte ihn Kardinal Ugo Poletti, damals päpstlicher Vikar der Diözese Rom, das Handwerk des Exorzisten Padre Candido zu erlernen, mit dem es gesundheitlich bergab ging. «Ich wehrte mich dagegen», erinnert sich Amorth. Heute weiß er, dass es Satan gewesen war, der versuchte, ihn daran zu hindern. «Satans geschickter Plan in der Welt besteht darin», schrieb Papst Johannes Paul II. einst, «die Menschen zu veranlassen, seine Existenz zu leugnen im Namen der Rationalität.» Seit 1986, als Amorth anfing, sich im groben Fach auszubilden, habe er «Satan das Fürchten gelehrt». Er lacht über das Wortspiel: «Ja, ich habe ihn zum Teufel geschickt.» Und er fügt mit ernster Stimme an: «Aber er kommt immer wieder zurück, wenn wir nicht achtsam sind.»

Die Schweiz sei diesbezüglich besonders gefährdet. Selbst innerhalb des Klerus gebe es immer mehr Leute, die nicht mehr an den Teufel glaubten. «Die Verteidigungslinie ist durchlässig geworden», warnt Pater Amorth und nennt als Beispiel die Revision des «Rituale Romanum», der Betriebsanleitung für Exorzismen aus dem Jahre 1614. Nicht zuletzt auf Druck von Schweizer Bischöfen, vermutet Experte Amorth, sei 1998 das neue Ritual eingeführt worden, das keine Wirkung mehr zeige im Kampf gegen das Böse. So hält das neue Regelwerk fest, dass keine Exorzismen mehr durchgeführt werden dürfen, wenn nicht feststeht, dass eine Person besessen ist. «Ein Meisterwerk der Inkompetenz», sagt Don Amorth. «Erst Exorzismen zeigen, ob der Teufel in einem steckt.»

Inzwischen hat der Vatikan dem Protest der Exorzisten nachgegeben. Mit Erlaubnis der zuständigen Bischöfe dürfen sich Don Amorth und seine Berufskollegen weiterhin an das Handbuch aus dem 17. Jahrhundert halten, das klar vorschreibt, wie man sich in Anwesenheit von Dämonen zu verhalten hat. Weihwasser, Stola und Kreuz, dann der Satz: «Im Namen Gottes, Satan weiche!» Alles auf Lateinisch. Der Teufel antworte meistens im Römer Dialekt, sagt Don Amorth. Oder in der Sprache der besessenen Person, ein paar Oktaven tiefer. «Wie heißt du? Wie bist du in den Körper der Person gelangt?» Wichtig sei, keine dummen Fragen zu stellen, zum Beispiel: «Wer gewinnt die Europameisterschaft?» Der Teufel wüsste es, aber als Gegenleistung, es ist bekannt, will er die Seele.

Nur gut, sagt Don Amorth, besuche der Papst jetzt die Schweiz, «eine große Chance für euer Land». Es sei absurd, dass die Eidgenossenschaft seit einem halben Jahrtausend die päpstlichen Garden stelle, aber keinen regulären Botschafter beim Vatikan akkreditiert habe. Schlimmer noch: «Als eines der wenigen Länder besitzt die Schweiz keinen Vollzeitexorzisten. Das ist ein Skandal!»

Agnell Rickenmann, Generalsekretär der Schweizer Bischofskonferenz, bestätigt das Fehlen vollamtlicher Teufelsaustreiber, präzisiert aber: «Es finden auch bei uns Exorzismen statt, allerdings nur in absoluten Notfällen und nur mit Bewilligung des zuständigen Bischofs. Zudem muss vorher ein medizinisches und psychologisches Gutachten eingeholt werden.» Es komme durchaus vor, sagt Rickenmann, dass sich Psychologen auch aus eigener Initiative an die Kirche wenden, weil sie einfach nicht mehr weiterwüssten. «Die Anfragen haben zugenommen», sagt Rickenmann, der sich als «rational denkenden Menschen» bezeichnet und doch an den Horror Vacui glaubt. Werde diese Leere nicht mit Liebe und Mitgefühl gefüllt, mache sich der Teufel breit.

Sigmund Freud sah das anders. «Dämonen sind Abkömmlinge abgewiesener, verdrängter Triebregungen», schrieb er. Hinzu kommt nach Meinung von Psychologen, dass Exorzisten das eigene unbewusste Böse auf die vermeintlich Besessenen projizieren, ein «Schattenboxen mit sich selbst», wie es Dieter Sträuli vom Psychologischen Institut der Universität Zürich in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger nannte. Vor beinahe dreißig Jahren endete in Deutschland eine Teufelsaustreibung tödlich. Das Gericht verurteilte die Eltern der Studentin, die an einer Psychose litt, und den Priester wegen unterlassener Hilfeleistung. Die junge Frau hätte in eine psychiatrische Klinik eingeliefert werden sollen, statt im Behandlungsraum eines Exorzisten auf Heilung zu hoffen.

Weinen, Schreien, Spucken

«Unsere Arbeit ist hart und unpopulär», sagt Don Amorth, der sich weder von Fehlleistungen noch von Kritikern beirren lässt und auf Jesus verweist: «Er war der erste Exorzist.» Wie aber erkennt man den Teufel? Es gebe klare Indizien, zum Beispiel die Angst vor Heiligenbildern: «Der Satan lässt die Besessenen mit Wutanfällen reagieren, wenn ich sie zu segnen versuche.» So wie im Fall jener Personen, die er an diesem Tag behandeln werde. «Drei Besessene am Morgen, vier Besessene am Nachmittag. Heute halte ich mich zurück, weil ich noch einen Artikel für eine katholische Zeitschrift schreiben muss.»

Er verabschiedet sich mit sanftem Händedruck, «Gott sei mit dir», und wendet sich zwei Frauen zu, die beim Portier auf ihn warten. «Kommen Sie in mein Zimmer», sagt er, worauf die jüngere Frau zu weinen beginnt. Auf der Rückfahrt reißt das Kupplungskabel meiner alten Vespa.

Am Abend rufe ich wie vereinbart Don Amorth an, um zu erfahren, wie sein Tag verlaufen ist. «Eine Frau hat sich am Boden gewälzt, mich angespuckt und fürchterlich geschrieen.» – «Haben Sie mit dem Teufel gesprochen?» – «Ja, er nannte sich Asparot.» – «Was heißt das?» – «Weiß ich nicht, aber ich bin ihm schon mehrmals begegnet.» – «Haben Sie Angst?» Don Amorth lacht: «Der Teufel ist es, der Angst vor mir haben muss. Die Muttergottes steht mir zur Seite.» Ich erzähle ihm, wie auf dem Heimweg plötzlich meine Vespa stehen geblieben sei. «Gehen Sie zum Mechaniker», rät Don Amorth.

Dann fragt er, beinahe flüsternd: «Junger Mann, glauben Sie eigentlich an den Teufel?» – «Nein.» – «Aufgepasst», sagt er, «das ist der Anfang vom Ende.»

Gabriele Amorth: Un esorcista racconta.
Edizioni Dehoniane, 1990. 251 S., I 11,36
Nuovi racconti di un esorcista. 1992. 231 S., I 10,33
Esorcisti e Psichiatri. 1996. 229 S., I 12,50

Quelle: Weltwoche, 03.06.2004

 

 

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